Montag, 2. April 2018

[Rezension] [Graphic Novel] Pénélope Bagieu: Unerschrocken - Fünfzehn Porträts außergewöhnlicher Frauen

Pénélope Bagieu: Unerschrocken - 15 Porträts außergewöhnlicher Frauen


Der Inhalt

Fünfzehn außergewöhnliche Frauen, fünfzehn außer-gewöhnliche Geschichten. Angefangen bei Clémentine Delait, der Dame mit dem Bart, über die Maribal-Schwestern, Wu Zetian, der Chinesischen Kaiserin bis hin zu Christine Jorgensen, einer der ersten transsexuellen Frauen, die sich offen bekannt und für die Rechte anderer Transsexueller gekämpft hat, ist dieses Buch voll von starken Frauen, großen und kleinen Errungenschaften, kleinen und großen Rückschlägen. Einfach gezeichnet und wenigen Worten wird die Relevanz dieser Frauen und ihrer Vermächtnisse über die Zeitalter hinweg grandios auf den Punkt gebracht.



 Reprodukt Verlag (1. Oktober 2017) | Aus dem Französischen von Heike Drescher und Claudia Sandberg | Handlettering von Olaf Korth | 144 Seiten | ISBN 978-3-95640-129-9
EUR 24,00 € [DE], EUR 24,70 € [A]

Apachenkriegerin oder Hollywood-Meerjungfrau, Entdeckerin oder Herrin der Trolle, Gynäkologin oder Kaiserin - diese unerschrockenen Damen haben Vorurteile zerschlagen und ihre Bestimmung gefunden.


Vom eigenen Vorurteil

Zugegeben, als ich 'Unerschrocken' das erste Mal sah, war ich zunächst skeptisch. Ich kann nicht genau sagen, was es war, das ich davon abgehalten hat, dieses Buch das erste Mal in die Hand zu nehmen. War es das knallige Blau des Einbands? Die Porträt-Karikaturen, die das Cover zieren? Oder meine eigene Angst davor, dass ich mich mit einer großen Anzahl an Frauen vergleichen müsste, die in ihrem Leben so viel mehr erreicht haben, als ich zum jetzigen Zeitpunkt? Vielleicht von allem ein bisschen. Zugleich wirkten die in der Vorschau abgebildeten Zeichnungen und der Aufbau der Panels seltsam minimalistisch - die Seiten machten auf mich einen unordentlichen Eindruck, die Figuren waren nicht auf 'schön' getrimmt, der Hintergrund der Panels gleich ganz weggelassen und überlagert wurden die Bilder von einer für Graphic Novels ungewöhnlichen Menge an Text. Kurz: Der erste Eindruck, den 'Unerschrocken' auf mich machte, war eher schlecht als Recht.

Doch was habe ich mich geirrt?

In insgesamt 15 in sich abgeschlossenen Kapiteln behandelt Zeichnerin und Autorin Pénélope Bagieu das Leben absolut außergewöhnlicher Frauen, die es geschafft haben, sich in einer von Männern dominierten Gesellschaft durchzusetzen, sich allen Vorurteilen zum Trotz vom eigenen Willen und der eigenen Bestimmung leiten ließen und dabei Gutes wie Schlechtes erfuhren. Die schlichten Zeichnungen, die sich über ein Kapitel hinweg an einem zur Person passenden Farbthema orientieren, sind überraschend aussagekräftig - jedes Einzelne von ihnen ist wohl überlegt gesetzt und die Abfolge der Panels spricht derart für sich, dass man die Geschichte auch dann noch ganz gut begreifen kann, wenn man den Text zu den einzelnen Bildern nicht liest. Mit der Zeit entdeckte ich eine unglaubliche Schönheit in der präzise gesetzten Schriftfolge und der den echten Personen so nahe kommenden Karikaturen. Mit jedem Kapitel, das ich abends vor dem Schlafengehen geradezu verzehrte, erkannte ich mehr und mehr, dass es nicht immer die fantastische, überladene und bildgewaltige Illustrationen braucht, um Kunst zu erschaffen. Manchmal liegt die Kunst vielmehr im Feinsinn, in ein Einfachheit und Präzision - und nicht im überbordenden Farbspektakel.

Biografien auf den Punkt gebracht

Das Leben eines Menschen zwischen zwei Buchdeckeln einzufangen und ihm dabei auch noch gerecht zu werden, ist ein Unterfangen, das nur wenigen begabten Künstlern gelingt. Gleich fünfzehn Biografien in wenigen Worten und Bildern darzustellen, ohne dass es überladen wirkt, dass es zu einem Herunterrattern von Jahreszahlen kommt oder dass man das Gefühl hat, dass etwas fehlt, zeugt von künstlerischem Feingefühl und einem Gespür für das Wesentliche. In kurzen Texten, die die einzelnen Panels begleiten, erzählt Bagieu beinahe nüchtern von Geburt, Leben, Wirken und Tod ihrer Frauen-Figuren und benutzt dabei eine eine Sprache, die so mindestens genauso einfach und schlicht gehalten ist, wie die Zeichnungen ihrer Figuren. Dafür schmücken sich Bild und Text in 'Unerschrocken' gegenseitig, sie ergänzen sich und erzählen dabei Geschichten, die den Leser Schmunzeln und Staunen lassen. Eine gelungene Prise Humor liefern die unter den Erzähltext eingeschobenen Sprechblasen, die den Figuren Leben einhauchen: Während der Erzähltext nämlich über die Personen spricht, kommen sie in Sprechblasen und Randbemerkungen direkt zu Wort, und bekommen somit eine eigene Stimme, die den Leser direkt erreicht - und manchmal sogar direkt anspricht.

Grundsätzlich hatte ich die ganze Zeit über das Gefühl, dass die Geschichten, die Erzählungen, die Figuren und die Geschehnisse mich direkt miteinbezogen, mich teilhaben ließen, mich ansprachen und irgendwie mit mir interagierten. Es war nicht die übliche, irgendwie gleichgültige Rezeption eines Textes, sondern viel mehr ein Dialog mit den Frauen vor meiner Zeit (wobei Leymah Gbowee noch heute für die Rechte der Frauen in Liberia und darüber hinaus eintritt), die mich berührten, mir Mut zu sprachen und mir das Gefühl gaben, Teil einer Bewegung, eines Gefühls, eines Fortschritts zu sein, der auch heute noch immer nicht abgeschlossen ist. Entgegen meiner Angst, ich könnte mich im Schatten dieser Frauen irgendwie minderwertig fühlen, geschah genau das Gegenteil: So viel Selbstbestimmung, so viel Mut, so viel Durchhaltevermögen und Leidenschaft auf einen Blick, in einem einzigen Buch, bestärkt mich auch jetzt noch, einige Tage nachwirkend (und ich hoffe, dass die Wirkung noch ganz ganz lange anhält) in meinem eigenen Sein und Tun, erfüllt mich mit Stolz und Zufriedenheit und erinnert mich daran, dass ich allein diejenige bin, die den Weg bestimmen kann, den ich gehen möchte. 'Unerschrocken' ist das wohl inspirierendste Werk, das mir je begegnet ist.

Fazit

Trotz meiner anfänglichen Skepsis, die sich vor allem auf das Äußere der Graphic Novel bezog, beendete ich 'Unerschrocken' mit einer Mischung aus euphorisiertem Hochgefühl und einer kleinen Prise Wehmut. Und damit steht mein eigenes Vorurteil dem Werk gegenüber stellvertretend für das Vorurteil, das so vielen Frauen auf der Welt über die Geschichte der Menschheit hinweg zuteil wurde. Ich habe darüber geurteilt, was ich sah, ließ mich von unkonventionellen, scheinbar schmucklosen Zeichnungen und einem irgendwie unordentlichen Panel-Aufbau davon abschrecken, dem Inhalt, dem, was dahinter steht, eine Chance zu geben. Dabei habe ich es nicht bereut, sie ihm gegeben zu haben. Jeden Abend habe ich zwei oder drei Lebensgeschichten von Frauen verschlungen, die es in ihrem Leben niemals leicht hatten und trotzdem das Beste daraus gemacht haben - egal ob aus Gründen der Selbstbestimmung, der Identität, der politischen Überzeugung oder der eigenen Leidenschaft und Liebe heraus. Diese Frauen haben Großartiges bewirkt und ich bin so froh, dass Pénélope Bagieu ihnen mit ihrer Graphic Novel eine Stimme gibt und uns daran erinnert, dass es sie gegeben hat, was sie geleistet haben und welche Wirkung ihre Leistungen für sie selbst und für die ganze Welt gehabt haben. Ich kann diese Graphic Novel absolut jedem ans Herz legen - ich bin sogar der Meinung, das (zumindest) jede Frau ein Exemplar von ihr besitzen sollte. 'Unerschrocken' hat mir nicht nur wahnsinnig viel Spaß gemacht, es hat mich auch in meinem Sein bestärkt und mir gezeigt, wie dumm und sinnlos Vorurteile sind. Ich will in Zukunft unerschrockener sein.


Wertung

♥♥♥♥♥


Vielen herzlichen Dank an den 
Reprodukt Verlag
für das Rezensionsexemplar!


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